Als Joan zum Ferienhaus auf Long Island zurückkehrte, hörte sie schon auf der Veranda ein verdächtiges Krachen, das auch nicht aufhörte, als sie lautlos und mit gezückter Waffe das Haus betrat. Der Lärm drang aus dem Zimmer, in dem sie die andere Joan eingesperrt hatte, und es klang verdächtig nach splitterndem Holz. Mit einem gezielten Fußtritt ließ sie die Tür auffliegen. Ihre Gefangene hatte das Fenster geöffnet und versucht, mit einem der Stühle die massiv hölzernen Läden zu zertrümmern. Da diese von außen noch mit Metallriegeln versehen waren, war jedoch lediglich der Stuhl zu Bruch gegangen. Mit einem Stuhlbein in der Hand stand ihre Geisel da, das sie aber angesichts der gezogenen Waffe ihrer Entführerin sofort auf das Bett legte und die Hände hob.
„Ich musste es doch wenigstens versuchen“, rechtfertigte sie sich, ohne Angst in der Stimme. Joan senkte die Waffe.
„Ich hätte dasselbe getan“, antwortete sie und steckte die Waffe wieder ein. „Und jetzt bringe ich dich zurück nach Hause“.
Überrascht nahm die entführte Joan aus der Hand ihrer Doppelgängerin ihre rote Daunenjacke entgegen und zog sie an. Sie wagte nicht nach dem Warum der unerwarteten Freilassung zu fragen, sondern wartete stumm ab, bis ihre Entführerin das Ferienhaus wieder verschlossen hatte. Genauso schweigsam bestiegen beide am Strand den Cosmoliner und tauschten auch während des Rückfluges kein Wort. Als sie auf dem Dach von Joans Wohnkomplex landeten, öffnete die Entführerin die Bugklappe, um ihre Geisel aussteigen zu lassen. Die andere Joan sprang hinaus auf den Kies, blieb aber nach kurzem Zögern stehen.
„Wer bist du?“, fragte sie leise und sah ihre Entführerin eindringlich an. Diese hatte die Hand bereits auf der Verriegelung der Bugklappe, ließ sie dann aber wieder sinken.
„Das ist eine lange Geschichte“, antwortete sie und wandte das Gesicht ab. „Lange und kompliziert“.
„Und du kannst sicher verstehen, dass ich sie hören möchte. Ich meine... Immerhin siehst du aus wie mein Zwilling... Komm mit und erzähl sie mir!“
Joan konnte es kaum glauben. Nach allem, was sie der Joan dieser Realität angetan hatte, lud diese sie auch noch zu sich ein!
„Warum tust du das?“, fragte sie misstrauisch, „Du müsstest doch eigentlich erleichtert sein, wieder in Freiheit und mich los zu sein“.
Die andere Joan lächelte und legte wieder ihre Hand auf den Arm ihrer Entführerin, genau wie gestern Abend.
„In dem Moment als du um Ezella geweint hast, wusste ich, dass du kein schlechter Mensch bist“.
Ein schmerzhafter Kloß machte sich in Joans Hals bemerkbar und sie kämpfte mit den Tränen. Schließlich stieg sie tatsächlich aus, verriegelte den Cosmoliner und kehrte mit ihrer Doppelgängerin zurück in die Wohnung der Joan dieser Realität.
Sie fühlte sich unwohl, als sie auf dem Sofa Platz nahm und wenig später von der anderen Joan eine Tasse Kaffee gereicht bekam. Was für eine surreale Situation! Zudem bestand noch die Gefahr, dass ein vor Sorge kranker Curtis Newton hereinplatzen könnte! Die andere Joan nahm ihr gegenüber Platz und sah sie auffordernd an. Joan holte tief Luft und begann zu erzählen.
„Als Geheimagentin der Planetenpolizei und Mitstreiterin von Captain Future hast du bestimmt schon mehr als einmal völlig verrückte und schier unglaubliche Dinge erlebt, oder?“, begann Joan zögernd. Die andere Joan nickte langsam.
„Dann erscheint dir vielleicht nicht ganz so krank und unglaubwürdig, was ich dir jetzt erzählen werde“.
Erst stockend, dann immer flüssiger begann Joan zu erzählen und ihre Doppelgängerin hörte ihr aufmerksam zu. Ihr Gesichtsausdruck spiegelte während des Berichts so ziemlich alle Emotionen von Fassungslosigkeit bis tiefer Schockiertheit wider. Als Joan geendet hatte, starrte die andere Joan sie völlig versteinert an. Schließlich erhob sie sich, stellte die Tasse mit dem kalt gewordenen Kaffee auf dem kleinen Küchentresen ab und starrte zum Fenster hinaus.
„Das ist heftig“, sagte sie nach einer Weile mit brüchiger Stimme ohne ihre Entführerin anzusehen, „Aber ich glaube, ich kann dich verstehen“.
Was??? Joan glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
„Ich könnte mir ein Leben ohne Curtis auch nicht mehr vorstellen“, fügte die andere Joan hinzu und wandte sich wieder vom Fenster ab. „Und es tut mir sehr leid für dich“.
Die beiden Frauen sahen sich an, als plötzlich das Signal eines Kommunikators die Stille zerriss. Joan fiel siedend heiß ein, dass sie noch das Gerät ihrer Doppelgängerin einstecken hatte. Schnell holte sie es hervor und reichte es ihr.
„Eine Nachricht von Curtis“, stellte diese fest.
„Eine von ungefähr zwanzig anderen“, entgegnete Joan, „Wenn du dich nicht bald meldest, wird er notfalls hier einbrechen, wenn nur halbwegs so ist wie... mein Curtis“. Joan schluckte. „Was wirst du ihm erzählen?“
Die andere Joan schien zu überlegen, dann legte sie den Kommunikator beiseite, griff nach der Küchenschere und hielt sie ihrer Doppelgängerin hin.
„Schneid mir die Haare ab, dann wird es nicht so viel zu erzählen geben“, sagte sie entschlossen.
„Wie bitte?“, fragte Joan bestürzt, aber da hatte ihr die andere Joan die Schere schon in die Hand gedrückt.
„Los, tu es! Ich lass mir was einfallen!“, sagte die andere Joan. „Als vielbeschäftigter Raumfahrer, Wissenschaftler und Verbrecherjäger wird es ihn nicht so lange beschäftigen, warum ich mich zwei Tage nicht habe blicken lassen, solange er mich wohlbehalten wiedersieht“.
Da hatte sie wohl nicht ganz unrecht, stimmte Joan ihr in Gedanken zu. Die andere Joan setzte sich auf den Küchenhocker, fuhr sich durch das Haar und drehte ihr dann den Rücken zu.
„Leg los!“